„Wolfsprache“ ist Erwachsenensprache

Nicht nur mit Erwachsenen führe ich Veranstaltungen zur gewaltfreien Kommunikation durch, insbesondere mit Kindern kann man sich gewaltvoller und gewaltfreier Kommunikation mit all seinen Vor- und Nachteilen gut nähern. Häufig wird der Wolf als Symboltier für die gewaltvolle Sprache herangezogen, was manchmal zu Irritation und Ärger führt, denn der Wolf ist bekanntlich ein soziales Wesen und hat viele Fans, vor allem bei den Kindern. Sozial ist der Mensch jedoch auch. Und der Mensch ist genau wie das Tier nicht einfach nur eindimensional gut oder böse. Er bewegt sich im Rudel, er streitet sich und ist nicht immer nur fröhlich und freundlich.

Als ich einmal in einer dritten Klasse die sog. „Wolfsprache“ erläuterte, erklärte ich, dass dazu Beleidigungen, Erpressung, Drohung, Vorwurf und Befehle zählten und führte zu jedem ein Beispiel auf: „Blödmann!“, „Wenn du das nicht gleich erledigst, gehen wir nicht zum Spielplatz“, „Nie räumst du dein Zimmer auf!“, „Ich warne dich…“, „Hol jetzt endlich das Heft“. Ein Junge, der im Unterricht oft durch unangepasstes Verhalten auffiel, rief schließlich voller Inbrunst: „Jetzt habe ich es verstanden… Wolfsprache ist Erwachsenensprache.“ Da hatte er einen Punkt. Und tatsächlich hatte ich unbewusst nur Beispiele genannt, die i. d. R. von Eltern oder Lehrkräften gesagt wurden. Bei meinen Veranstaltungen mit Lehrkräften erzähle ich gelegentlich von diesem Ausruf des Schülers und sehe immer wieder an den Reaktionen und dem Nicken im Kollegium, wie richtig er damit lag.

Unsere Kinder haben nun die Chance, anders als wir, schon von klein auf zu lernen, wie man seinen Gefühlen und Bedürfnissen Ausdruck verleiht. Wie man miteinander redet, ohne allzu oft in Konflikte zu geraten und Wünsche oder Bitten formuliert. Ich bin immer wieder erstaunt, wie gut Kinder in der 3. Klasse das bereits können, wenn man ihnen Zeit und Gelegenheit gibt, es zu üben. Und vor allem… wie viel Spaß sie daran haben. In zunehmendem Alter fällt es einfach schwerer umzulernen. Umso wichtiger, dass Lehrkräfte in Konfliktsituationen die Kinder immer wieder dazu ermutigen, nicht mit dem Finger auf andere zu zeigen, sondern bei sich zu bleiben. Was empfinde ICH in der Situation, was brauche ICH und worum bitte ICH, alles ohne Vorwurf oder Anschuldigung formuliert. Manchmal beklagen Lehrkräfte, dass hierfür keine Zeit sei, aber die Erfahrung zeigt, dass der Einsatz sich lohnt und die Konflikte ohnehin geklärt werden müssen. Kinder, die in der 3. Klasse schon lernen, wie man Konflikte klärt, fallen einem in der 6. Klasse auch nicht – sinnbildlich gesprochen – „auf die Füße“.