Eine Freundin von mir wurde letztens gefragt, ob sie nicht manchmal das Gefühl hätte, etwas im Leben zu verpassen. Die Frage überraschte sie, denn aus ihrer Sicht führte sie ein aufregendes, abwechslungsreiches Leben und wünschte sich sogar oft ein bisschen mehr Ruhe, weniger kleine und große Krisen und Stress. Sie hatte mehrere Ausbildungen gemacht, viele verschiedene Job und teilweise interessante Nebenjobs gehabt. In ihren Jobs hatte sie viele spannende Menschen getroffen und Kinder, die für viel Trubel und Abwechslung sorgten, großgezogen. Sie hatte die unterschiedlichsten Hobbys, sehr viele Weiterbildungen gemacht und unendlich viele Menschen kennengelernt und in ihrer Tätigkeit als Sozialarbeiterin ein Stück ihres Lebens begleitet.
Sie verstand die Frage nicht. Die Leute hatten wohl die Eindruck, sie führte ein langweiliges Leben mit Kind und Kegel, in einer Wohnung in der Mitte Berlins, immer mit demselben Mann an ihrer Seite und das war´s. Alles drehte sich hauptsächlich um die Familie. Das fand wohl keiner erstrebenswert.
Von Außen betrachtet, gerade in der heutigen Zeit, in der das Reisen in die Ferne und die Selbstverwirklichung in Social Media die wichtigsten Themen zu sein scheinen, ist ein Leben wie ihres wohl langweilig. Wie kommt es nur, dass sie das so anders sieht und überhaupt nicht so empfindet?
Mir fiel spontan der Satz ein, den ich letztens aufgegriffen und in meine Sammlung mit aufgenommen hatte: „Nicht WAS ich erleben (also das Außen), sondern WIE ich erlebe (das Innen) ist entscheidend.“ Wir Menschen erleben Dinge natürlich sehr unterschiedlich. Was den einen aus der Bahn werfen würde, nimmt der andere nicht einmal als Problem wahr. Was in einem Glücksgefühle hervorruft, bringt den anderen nicht einmal zum Lächeln. Manch einer schippert durch die Südsee und langweilt sich zu Tode, der andere macht einen Spaziergang um den Block und freut sich wie ein Kind über den goldenen Herbst. Meine Freundin ist sehr emotional, voller positiver und negativer Gefühle, ein Beziehungsmensch. Das ist es, was dazu führt, dass sie alles sehr intensiv erlebt.
Ich sprach auch mit einer Kollegin darüber. Sie hatte früh ihre Mutter verloren und sagte von sich, dass sie trotzdem ein gutes Leben hatte. Sie beschrieb, dass sie sich dadurch nicht beeinträchtigt fühlte, obwohl sie viel erlebt hat, was andere vielleicht aus der Bahn geworfen hätte. Es ging ihr auf die Nerven, dass viele um sie herum sich nur beklagten und jede Kleinigkeit zu etwas Großem aufbauschten. Viele sagten von sich, sie hätten ein schweres Leben und sie fragte sich, woher das wohl komme. Sie erlebten die Dinge wohl ganz anders als sie. Sie ärgerte sich, dass viele meinten, sie verdränge einfach nur.
Ich empfand auch den umgekehrten Aspekt als irritierend. Augenscheinlich wurde manchen Menschen abgesprochen, dass sie ein erfülltes glückliches Leben führen, wenn sie nicht nach den Sternen greifen wollen, keine Bucket List haben, in die Ferne reisen, sich selbst optimieren oder jeden Tag ein anderes aufregendes Event besuchen.
Das Unverständnis für diese Menschen führt dazu, dass sie, die ein glückliches Leben führen, dies auf einmal hinterfragen (sollen) und die Themen anderer zu ihren eigenen machen. Einem Ideal hinterher hetzen, dass eigentlich gar nicht ihr eigenes ist. Dieser Aspekt ist spätestens seit Social Media so in den Vordergrund getreten, dass es wichtig ist, sich damit zu befassen. Was brauche ICH, um ein glückliches und erfülltes Leben zu leben? WIE erlebe ich das, was um mich herum? Sie sollten sich also nicht fragen, was ist das derzeit allgemein gültige Ideal ist.
Es zählt also nicht, WAS man erlebt, sondern WIE man es erlebt.