Es ist so eine Sache mit dem Einfühlungsvermögen. Wir fragen unsere Freunde oder Bekannte nach ihrem Befinden, nach dem letzten Urlaub, nach den Kindern usw. und schon beim ersten Antwortsatz stellen wir fest, dass es uns genauso geht… wir waren auch gerade verreist, es war auch wunderschön, wir hatten auch Sonnenschein, die Innenstadt war auch wunderbar und das Hotel genauso gemütlich und persönlich. Das ist ja interessant!!! Unsere Kinder waren auch gerade krank oder haben ein tolles Zeugnis gehabt und ja, wir sind im Moment auch immer sehr unkonzentriert. Das ist ja ein Ding!!! In unserer Euphorie und beim Erzählen merken wir oft nicht, dass wir direkt zu unseren Geschichten gesprungen sind und das Gegenüber kaum noch zu Wort kommt. Manchmal ist es sogar so, dass wir es merken, aber so im Redefluss sind, dass wir kaum noch innehalten können. Oder aber, wir merken hinterher, dass wir von unserem Kommunikationspartner eigentlich gar nichts erfahren haben und ahnen, worauf das zurückzuführen ist.
Sicherlich kennen sehr viele Menschen dieses Phänomen und vielleicht nehmen es viele einem auch nicht übel. Dennoch nervt dieses Verhalten bisweilen und so manch einer wird darüber doch auch einsam, weil man sich nach anderen Gesprächspartnern umsieht.
Unlängst lernte ich einen sehr einfachen aber präzisen Ausdruck dafür kennen: den „Ichauchismus“. Ja, ich gebe zu, auch ich leide manchmal unter ihm. Mein Mitteilungsbedürfnis ist recht groß und so habe ich schon vor vielen Jahren diverse Abkommen mit meinen Lieben getroffen, in welcher Art man mich bremsen darf, wenn ich mal wieder dem „Ichauchismus“ verfalle. Meine beste Freundin prostete mir beispielsweise immer zu, wenn sie bemerkte, dass der andere nicht zu Wort kam. Ich nahm die Unterstützung gerne an, ärgerte mich aber sehr, dass ich mein selbstgesetztes Ziel, mich mal zurückzuhalten, mal wieder nicht erreicht hatte.
In diesen krisenhaften Zeiten gibt es natürlich vielerlei dramatische Geschichten, Probleme und Beschwerden. Vielen Menschen geht es nicht gut und sie haben Redebedarf. Da liegt es nahe, auch auf seine eigenen Schwierigkeiten und Probleme zu verweisen. Schließlich sitzen wir nun gerade wirklich alle in einem Boot. Aber gerade jetzt ist es wichtig, auch einmal bei dem anderen zu bleiben und nicht immer wieder bei sich zu landen. Wenn Sie also über ein großes Mitteilungsbedürfnis verfügen, versuchen Sie doch gerade jetzt einmal, sich dem anderen ganz zu widmen. Es ist ein tolles Gefühl, einfach mal nur zuzuhören.
Vieles, was wir tun und eigentlich nicht tun wollen, ist uns trotzdem bewusst. Manches passiert unbewusst. Oft ist es dann ein Wort wie „Ichauchismus“, das uns wachrüttelt, weil es sich ins Gedächtnis eingebrannt hat und plötzlich „aufploppt“ und so schließlich wirklich zur Verhaltensveränderung führt. Für mich war dieser Begriff hilfreich und er begleitet mich nach wie vor durch mein Leben.