In meinem letzten Beitrag ging es ja darum, dass wir das Verhalten eines anderen nicht verändern können. Eine Möglichkeit, mit einem unerwünschten Verhalten umzugehen, war es, das Verhalten anders zu bewerten als zuvor und es mit anderen Augen zu sehen, es sozusagen aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.
Diesen Vorgang nennt man in der Therapie und im Coaching Reframing. Das bedeutet vereinfacht, ein Verhalten oder eine Situation wird in einen anderen Rahmen (engl.: frame) gesetzt und verändert sich dadurch entsprechend.
Eins der berühmtesten Beispiele ist das vom „verhaltenskreativen“ Kind, das zuvor vielleicht als „störend“ oder sogar „gestört“ bezeichnet wurde. Kritiker des Reframing wenden ein, dass schwierige Situationen oder Verhaltensweisen auf diese Art verharmlost oder verniedlicht würden. Das ist möglich. Andererseits hilft es auch niemandem, im Jammermodus zu verharren. „Der stört, der nervt, der ist gestört…“ Dauerschleife des Jammertums. Dies führt in der Regel noch weniger ans Ziel, weil sich die Fronten verhärten und angedrohte Konsequenzen oft nicht umsetzbar sind. Gerade im schulischen Umfeld.
Eine Bedingung für das Reframing ist, dass der neue Rahmen den Tatsachen genauso gerecht wird, wie der alte. Dadurch ändert sich die Gesamtbedeutung der Situation und mit ihr die Handlungsoptionen. Das Kind, das den Unterricht „stört“ tut dies vermutlich durch ein Verhalten, das man auch durchaus als „kreativ“ bezeichnen kann. Denn vermutlich tut es Dinge, die irgendwie anders sind als erwartet. Anstatt sich zu melden und zu warten, bis es drangenommen wird, springt es auf den Tisch und stellt die Antwort pantomimisch dar. Das mag stören, nerven und verwirren, na klar, aber das ist durchaus kreativ. Wenn ich das als Lehrkraft sehen kann, wenn ich einen anderen Bezugsrahmen setzen kann und mich nicht krampfhaft in meinen Rahmen verbeiße, bin ich schon einen Schritt weiter. Denn vermutlich regt es mich dann innerlich einfach nicht mehr so auf, wenn das Kind sich mal wieder „aufspielt“. Vielleicht hilft es da, genauso kreativ entgegenzuwirken und dem Kind beim nächsten Theaterstück die Hauptrolle zu geben, vielleicht ja auch an die Bedingung geknüpft, das kreative Verhalten weitestgehend bis zum Theaterstück aufzuheben.
Ich kenne viele Leute, die beim bloßen Gedanken an das Reframing die Augen verdrehen, in Widerstand gehen und sich beharrlich weigern, das in ihren Augen Negative positiv umzudeuten. Das Gute hinter dem Schlechten zu sehen. Aber letztlich geht es ja auch darum, dass sie sich selber entspannen. Es hilft uns nicht, mit wutverzerrtem Blick darauf zu beharren, dass alles furchtbar und schrecklich ist, wenn wir es doch gar nicht ändern können. Das zu akzeptieren und einen freundlicheren, positiven Blick auf das Verhalten anderer oder bestimmte Situationen zu lenken, ist für unsere eigenen Gesundheit förderlich.
Es entlastet, wenn ich verstehe, dass das Verhalten des anderen vielleicht gar nicht darauf abzielt, mich zu ärgern oder zu verletzen und dass dieses Verhalten in einer anderen Situation (in einem anderen Kontext) vielleicht sogar positiv zu bewerten wäre. Ich gebe der Situation eine andere Bedeutung und rege mich nicht mehr auf. Sicher ist das nicht immer möglich. Es ist eine neue Option. Nicht mehr, nicht weniger.
Wenn ich den auf dem Küchentisch liegengelassenen Schlüssel nicht immer gleich als Angriff auf mich werte („Der will mich einfach ärgern…!“), sondern den Schlüssel vielleicht als Talisman betrachte, geht es mir bestimmt besser. 😉 Wenn ich meinen lauten, immerzu trinkenden und feiernden Nachbarn als „gesellig“ bezeichnen kann, die ständig nachfragende Nachbarin nicht als neugierig, sondern „interessiert“ bezeichne und den permanent hopsenden und herumrennenden Jungen als „energiegeladen“, dann ändert sich auch mein Blick auf die Welt!
Es lohnt sich auf jeden Fall, sich mit dem Thema Reframing näher zu befassen und es auszuprobieren. Zur eigenen Entlastung und für eine entspannteres Miteinander! Viel Spaß beim Ausprobieren!